Welchen Mehrwert können die Methoden der künstlichen Intelligenz für die Prozessindustrie schaffen? Nach drei Jahren Projektlaufzeit präsentierten die KEEN-Partner ihre Ergebnisse am 22. und 23. Mai 2023 im DECHEMA-Haus bei einer öffentlichen Abschlusskonferenz. 14 Vorträge präsentierten Beispiele für erfolgreiche Anwendungen von KI in Zusammenarbeit von Industrie und Forschungspartnern.
Am Lehrstuhl für Thermodynamik (LTD) und der Arbeitsgruppe Maschinelles Lernen der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU) Kaiserslautern-Landau wurden neue Methoden zur Vorhersage von Stoffdaten von Mischungen entwickelt, die auf Matrix-Vervollständigungsmethoden beruhen, wie sie auch bei Empfehlungen für Filme oder Musik verwendet werden. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer ITWM entstand daraus der Softwareprototyp „MatrixMole“, der mit den Konsortialpartnern Dortmunder Datenbank (DDBST GmbH) und Covestro getestet wurde. Als Ergebnis erhält der Anwender Aussagen über thermodynamische Eigenschaften binärer Stoffgemische, die nicht vermessen wurden. Zusätzliche wird die Unsicherheit der Vorhersage quantifiziert. Basierend auf den verbesserten Vorhersagemöglichkeiten für thermodynamischen Eigenschaften von Mischungen wurden in einem zweiten Schritt KI-basierte Surrogate zur Prozesssimulation eingesetzt. Ein Schwerpunkt dabei lag auf der Entwicklung von online-Modellen, mit denen der Nutzer interaktiv What-If-Szenarien untersuchen kann. So kann Optimierungspotenzial zuverlässig und transparent erkannt werden.
Im Anlagenbau hat der Einsatz von KI das Potential, die Entwicklungszeit im Basic- als auch im Detail-Engineering zu verkürzen. Die Arbeitsgruppe ApparateDesign der TU Dortmund entwickelte im Rahmen von KEEN einen KI-basierten Vorschlagsalgorithmus, der dem Nutzer bei der Erstellung von R&I Fließbildern auf Basis von trainierten Rekurrenten Neuronalen Netzen (RNNs) mögliche Folgebauteile benennt. Mit Hilfe von Graph Neural Networks (GNNs) erfolgt im Anschluss an den Zeichenprozess eine Konsistenzprüfung. In der Konzeptfindungsphase schlägt ein KI-Algorithmus potentiell erfolgreiche Trennoperationen für Stoffgemische vor. Die entwickelten Werkzeuge werden aktuell von den Partnern in deren Software-Paketen getestet und stehen in naher Zukunft weiteren Anwendern zur Verfügung.
Als Konsortialpartner lieferte Bayer einen Anwendungsfall, der die Entwicklung einer Kolonnenregelung mithilfe datenbasierter KI-Modelle beinhaltete. Perspektivisch sollen Anlagenfahrer über einen derartigen Ansatz durch die Steigerung der Anlagenautonomie entlastet werden. In Zusammenarbeit mit der TU Dortmund wurde ein rigoroses dynamisches Kolonnenmodell erstellt und ein ML-basierter Regelungsansatz getestet, mit dem trotz Störungen innerhalb der Betriebsspezifikationen ein optimaler Betrieb hinsichtlich Material- und Energieeffizienz erreicht werden soll. Die erarbeitete Lösung wurde mit einer konventionellen PID-Regelung verglichen und erzielte eine ähnliche Performance. „Trotz der Anforderung an Betriebsdaten, die an realen Anlagen nicht immer vorhanden sind, verfolgt Bayer vor allem in der Modellierung und Prozesssteuerung KI-basierte Methoden“, so Stefan Krämer (Bayer). Bayer nutzt KI in vielen Bereichen seiner Geschäfte und Betriebsabläufe, um die Produktentwicklung zu beschleunigen und die Art und Weise zu verbessern, wie Produkte hergestellt und an Kunden geliefert werden. Bayer verpflichtet sich, KI – wie alle bestehenden und neuen Technologien – verantwortungsvoll und im Einklang mit den geltenden Gesetzen und Vorschriften einzusetzen.
Wichtige Grundlage von KI ist ein systematisches Datenmanagement, betonte Ralph-Müller Pfefferkorn (TU Dresden, ZIH) in seinem Vortrag. Er stellte das modulare Metadatenschema zur Beschreibung von Prozessindustriedaten ProMetaS (Process Engineering/Industry Metadata Schema) sowie die KEEN-Datenplattform zum Teilen und Publizieren von Daten vor. Während der Projektlaufzeit wurden Datensets von verschiedenen akademischen und industriellen KEEN-Partnern auf die Plattform hochgeladen. Die Datensätze stehen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Nachnutzung zur Verfügung (zu finden unter https://keen.zih.tu-dresden.de/).
In der abschließenden Podiumsdiskussion mit dem Titel „Are we still KEEN on AI?“ diskutierten Marius Kloft (TU Kaiserslautern), Stefan Krämer (Bayer), Joschka Winz (TU Dortmund, Process Dynamics and Operations Group), Armin Fricke (Capital-Gain Consultants), Tom Kraus (iit) und Sibylle Mutschler (Postfinance) über den Wert von Daten und die Zukunft von KI in der Prozessindustrie. „KEEN hat mir eine realistische Vorstellung vermittelt, was KI leisten kann und was nicht.“ fasste Joschka Winz, Promovierender der TU Dortmund, seine Erfahrungen zusammen.
Keynote-Vortrag:
KEEN – was bleibt, was kommt? Kai Dadhe (Evonik) & Martin Hoffmann (ABB)